Träume, Ängste, Ponyhof Und über den Mut, mit Pferden zu arbeiten
Große Träume und das Unpraktische am Großwerden
Häufig sind es die Dinge, die wir uns am meisten wünschen, vor denen wir die größte Angst haben. Mit Pferden zu arbeiten ist so ein Beispiel. Als Kind hatte ich in meiner bunten, romantischen Ponyhof-Traumwelt die Vorstellung vom eigenen Pferdehof auf dem Pferde frei herumlaufen können, weil sie gerne dort sind. Auf dem Kinder und Erwachsene einen feinen, auf pferdegerechter Kommunikation beruhenden Umgang mit dem Pferd lernen können. Von Klein auf wusste ich: Das ist es, was ich möchte. In meiner Vorstellung hatte ich es ja bereits.
Das Unpraktische am Großwerden ist, dass es die eigenen Träume so oft nicht schaffen der Realität standzuhalten. Manche zerplatzen einfach, andere sind hartnäckiger und bleiben. Wenn sie bleiben, dann in dieser geheimen Ecke, in der Traumwelt, gut beschützt vor jeglicher Realität. Mein Traum war so einer von der hartnäckigen Sorte – er blieb.
Die Suche nach meinem Traum
Nach meinem Abitur wollte ich mit der Umsetzung meines Traumes starten und ein Jahrespraktikum bei einem Reittherapiezentrum machen. Mit jeder Woche die ich dort arbeitete merkte ich mehr, dass dies nicht mein Traum war. Dass hier die Pferde nicht gerne mit den Menschen arbeiteten. Dass die feine Pferdekommunikation nicht im Fokus stand. Dass die Betreiberin gar nicht so glücklich war wie sie doch in meinen Augen sein müsste. Ich brach nach fünf Monaten ab, steckte den Traum wieder in seine Ecke und machte ein Praktikum beim Theater. Kurz darauf studierte ich Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften.
Im Anschluss fing ich an freiberuflich als Texterin zu arbeiten und bekam schließlich eine Festanstellung im Online Marketing. Von Anfang an war mir klar: Das ist nur mein Einstieg in die Arbeitswelt. Da wartet noch mein Traum auf mich – irgendwann. Mit der Zeit merkte ich aber, wie mir mein Traum immer weiter weg vorkam.
Trotzdem suchte ich regelmäßig nach günstigen, halb verfallenen Resthöfen aus denen ich etwas erschaffen könnte. In der Umgebung in der ich mit meinem Mann wohnte (Ruhrgebiet) fanden wir nichts, aber als wir den Radius auf deutschlandweit stellten sprang uns ein Wohnprojekt auf einem Pferdehof in Mecklenburg Vorpommern entgegen. Es gab dort einen Verein der noch Menschen suchte die beruflich mit Menschen und Pferden arbeiten wollten – perfekt. Die Pferdehaltung war traumhaft, die Gegend wunderschön, die Leute dort sehr freundlich. Wir fuhren hin, lernten alle kennen und waren begeistert. Kurz darauf planten wir unsere eigene Wohnung im großen Wohnhaus.
Allerdings kamen immer wieder Zweifel in mir hoch – es war so verdammt weit weg und wir wussten nicht genau wie die Wohnung hinterher aussehen würde. Die Gemeinschaft war noch nicht komplett und die Planung der anderen Wohnungen noch nicht abgeschlossen. Hinzu kam, dass es mit dem Gemeinschaftsprojekt nicht richtig vorwärts ging. Die Umstände schienen gegen uns zu sprechen. Nach einem zähen Jahr ohne echte Traumannäherung wurde ich schwanger und wir entschieden uns auszusteigen.
Wir zogen ins Münsterland: auch sehr schöne Lage, freundliche Menschen, nur leider keine Pferdehaltung zuhause. In meiner Elternzeit fing ich an die Sache anders anzugehen. Ich wollte den anderen Teil des Traums umzusetzen. Nicht den eigenen Pferdehof, aber das Arbeiten mit Pferden. Ich startete mit einer Ausbildung zur Pferdeverhaltenstherapeutin, die mich dazu brachte mich zu fragen: Was will ich eigentlich mit Pferden machen? Was soll Ziel der Arbeit sein? Nicht die Technik, die interessierte mich noch nie sonderlich. Mir ging es um Kommunikation, Gespür, Feinheit.
Auf meinem Weg
Endlich fand ich meinen Weg: Die Verknüpfung aus Pferdekommunikation und Theaterpraxis für einen feinen, klaren und pferdefreundlichen Umgang. Für mehr Präsenz, Fokus und Energie am Pferd – die Grundlage für erfolgreiches gemeinsames Training und eine positive Verbindung.
Und jetzt? Dranbleiben, weiterentwickeln, Steine ins Rollen bringen. Ich glaube das ist eins der wichtigsten Dinge die ich gelernt habe über die eigenen Träume: Es reicht nicht sie zu träumen. Da kommt kein netter Zauberzwerg um die Ecke und erfüllt mir das was ich mir wünsche. Ich muss das selbst tun. Und genau darin liegt der wirkliche Zauber: im Weg, in der persönlichen Weiterentwicklung auf diesem Weg.
Irgendwann im Leben kommt der Punkt an dem wir uns die Frage stellen müssen: Soll er in der Traumwelt-Ecke bleiben der große Traum, schön aber versteckt? Oder möchte ich ihn hervorholen? Ihn von allen Seiten betrachten, schauen ob er der Realität standhält? Solange der Traum ein Traum bleibt, ist er nur schön, nur bunt, nur Ponyhof. Aber wenn wir ihn hervorholen, kommen plötzlich die größten Ängste zum Vorschein.
Ängste und Pferde
Als Flucht- und Herdentiere sind Pferde in der Lage in Sekundenschnelle Gefühle zu erkennen und nachzuspüren. Sie wissen, dass in uns allen Ängste schlummern. Jeden Tag mit Pferden zu arbeiten bedeutet auch sich zu trauen, sich jeden Tag seinen Ängsten zu stellen.
Eine Bekannte sagte neulich zu mir: „Ich würde gerne mit Pferden arbeiten, aber ich weiß nicht ob ich den Mut habe, mich Tag für Tag mit mir selbst auseinanderzusetzen und mich gespiegelt zu bekommen.“ Den Mut den es braucht sich dem zu stellen, habe ich lange unterschätzt. Vor allem habe ich unterschätzt wie schwierig es sein kann, diese Angst nicht zu überspielen indem ich sie dem Pferd in die Schuhe schiebe.
Viel zu oft werden eigene Unzulänglichkeiten, eigene Ängste und Zweifel übertüncht und den Pferden angelastet. Die Pferde gelten dann als zu faul, zu aufgedreht, zu zickig, bockig, respektlos oder gar stur. Um die eigenen Schwächen zu kaschieren, werden sie geschlagen, in den Bauch geboxt, herumgezerrt.
Auf feine und pferdefreundliche Art mit Pferden zu arbeiten bedeutet, dass ich jeden Tag nicht nur an den Pferden sondern auch an mir persönlich weiter arbeiten darf. Weil alle Ängste, Zweifel und alles was mich davon abhält so gut zu sein wie ich könnte, sofort erkannt und übersetzt werden.
Mut und Stärke in mir finden
Mut kann nur dann da sein, wenn auch Angst da ist. Wenn wir es schaffen mit offenen Augen durch die Angst hindurchzugehen. Wenn wir in uns die Kraft finden zu tun was uns Angst macht weil wir wissen, dass es richtig ist. Mut ist unbequem und unsicher. Wenn wir ihn aber mobilisieren können, setzt er unfassbare Kräfte in uns frei.
So nehme ich die Pferde als mein Training diese Kräfte immer weiter zu stärken, mutiger zu werden, mehr zu vertrauen. Mir, meinen Impulsen, meinem Gefühl, meinem Pferd. Damit ich es auch durch die großen Ängste hindurch schaffe, in die großen Träume hinein. Weil ich glaube, dafür sind wir alle eigentlich hier: Um unsere großen Träume nicht nur zu träumen, sondern auch um mit ihnen durch die Angst in die Realität zu gehen.