Innere Klarheit statt Dominanz Leiser und doch stärker mit dem Pferd
Dominanz von klein auf
Von klein auf wurde uns Pferdefrauen beigebracht, dass es darum geht zu lernen „Chefin“ zu sein beim Pferd. Dass man sich seine Ängste nicht anmerken lassen darf, immer stark und sicher auftreten solle. Das Pferd müsse seinen Platz kennen, nämlich ganz sicher als letztes Glied in der Kette. Ansonsten würde es einen unweigerlich in Frage stellen, nicht kooperieren, sich nicht sicher fühlen mit mir. Es würde im Grunde dann machen was es will. Es würde sich ins Fäustchen lachen, gar nicht laufen oder weglaufen, Gras fressen und mich ignorieren oder gar gefährlich werden.
Also machte ich mich groß sobald ich zu den Pferden ging, wurde laut wenn sie nicht auf mich reagierten. Ich hielt den Strick oder die Zügel immer fest in der Hand und trat beim Laufen besonders fest auf, um meine Stärke, meine Sicherheit und meine hohe Position zu demonstrieren. Später scheuchte ich Pferde durch den Round Pen, bis sie sich mir unterordneten. Ich führte sie, wenn sie aufmüpfig wurden mehrere Meter hinter mir und ließ das Seil schlackern wenn sie Anstalten machten mich zu überholen. Ich ließ sie rückwärts weichen. Ziemlich oft.
Wahre Stärke finden
Ganz bestimmt liegt eine Menge Wahrheit darin, dass Pferde Sicherheit und Stärke von uns brauchen, um sich selbst überhaupt erst sicher und stark mit uns fühlen zu können. Jedoch geht es dabei wohl eher um die innere Sicherheit, die innere Stärke. Eigentlich könnte man das Ganze schlicht als innere Klarheit bezeichnen. Bin ich innerlich ganz klar und weiß, was ich vorhabe, was ich vom Pferd verlange und wie ich das erreichen werde, dann wird mein Pferd diese innere Klarheit spüren.
Heute ist die innere Klarheit zu meinem Ansatz mit Pferden geworden. Je klarer ich innerlich bin, je genauer ich weiß, was ich will, desto besser kann ich mein Pferd anführen. Ich muss nicht mehr so tun als wäre ich Hulk. Das hat sich für mich sowieso nie besonders gut und authentisch angefühlt. Ich darf einfach so sein wie ich bin. Und ich frage das Pferd nach Dingen, die sich für mich richtig anfühlen.
Das Pferd darf dazu auch mal Nein sagen. Dann entscheide ich, ob es mir wichtiger ist, mein Ziel durchzusetzen, ob es vielleicht aus bestimmten Gründen sogar einfach sein muss (Anhalten vor einer Hauptstraße zum Beispiel), oder ob ich meinem Pferd nachgebe. Auch das kann passieren. In diesen Momenten fühle ich mich trotzdem nicht schwach. Eher stark, weil ich mein Pferd mitentscheiden lasse. Weil sie mich manchmal auf richtig gute Ideen bringt. Und weil sie so viel mehr eigene Freude und Motivation entwickelt.
Wenn mein Pferd mir antwortet
Es ist eine Gratwanderung zwischen Dominanz und innerer Klarheit, die manchmal wirklich anstrengend und schwierig ist. Wenn so einfach Dinge wie gemeinsames Vorwärtsgehen am Führstrick nicht mehr funktionieren, weil ich nicht am Seil ziehen möchte. Wenn mein Pferd mir bei der Freiarbeit ein klares Nein gibt als ich sie zu mir einlade. Wenn sie mir ihre Gefühle viel deutlicher zeigt als früher. Weil ich angefangen habe zuzuhören. Manchmal ertappe ich mich dabei zu denken: Früher war alles einfacher! Ich habe mich nicht so hinterfragt, habe nicht so auf die Antworten und Fragen meines Pferdes geachtet. Ich konnte einfach das tun, was ich mir vorgenommen hatte. Musste beim Pferd holen oder Putzen nicht so aufmerksam sein. Alles ging deutlich schneller.
Aber dann denke ich an die vielen Glücksmomente mit meinem Pferd. An die Freude, wenn sie mit vollem Herzen Ja zu etwas sagt und mir das zeigt. Daran, dass ich jetzt viel entspannter alleine ausreiten gehen kann. Kein zur Seite springen, kein ständiges Antraben oder Stehenbleiben mehr. Daran, wie ich persönlich an diesen Veränderungen gewachsen bin. Ich bin präsenter, zufriedener, viel feiner und klarer geworden. Eigentlich ist meine Durchsetzungskraft gestiegen. Ohne die Dominanz. Ich bin mehr ich mit meinem Pferd. Und weiß zugleich, dass dieser Weg niemals aufhört. Das was ich verändert habe, hat vor allem die Beziehung zu meinem Pferd verändert. Darüber bin ich wirklich froh und dankbar.