Mehr Motivation, weniger Kontrolle Freude, Vertrauen, Liebe und mehr Führungskompetenz durch Loslassen

Indem ich immer öfter die Kontrolle abgab lernte ich, mein Pferd wirklich zu motivieren. Erst das Loslassen ermöglicht innere Motivation und eine neue Ebene der Verbindung. Hier zeigt sich wahre Führungskompetenz – wenn ich so sicher bin, dass ich dem anderen einen Vertrauensvorschuss gewähren kann. Wie ist das bei dir? Wie sehr steckst du noch in der Kontrolle, wo kannst du loslassen und stattdessen Vertrauen, Spaß, Liebe wählen?

Druck als Mittel

Ein häufig genutztes Mittel für mehr Motivation ist Druck. Ganz egal ob mit Kindern, Mitarbeitern oder Pferden. Bei den Pferden finden wir in diesem Zusammenhang wirklich die unterschiedlichsten Methoden und Philosophien: Sich steigernde Phasen mit der Gerte, Schenkelklopfen, Schenkeldrücken, Sporen. Bei der Bodenarbeit: Peitschenknallen, gehobene Peitsche, gesenkte oder aufs Pferd gerichtete, wedelnde oder starre Peitsche. Die Liste lässt sich sicher noch weiterführen.

Ich meine damit nicht, dass Druck keine Option sein darf. Was ich meine ist, dass er in vielen Situationen nicht gebraucht wird und sogar kontraproduktiv sein kann. Mit Druck erreichst du nie ein intrinsisch motiviertes Vorwärts, im Gegensatz zur Motivation von außen. Wäre das nicht aber schöner, wenn dein Pferd dir ein freiwilliges Vorwärts gäbe?

Die Illusion von Kontrolle als Schutz

Wie kannst du dein Pferd motivieren? Ein fleißigeres Vorwärts, mehr Freude an der gemeinsamen Arbeit entwickeln? Wie bekommst du ein Pferd, das Lust hat sich mit dir zu bewegen?

Indem du die Kontrolle auch einmal bewusst abgibst und dein Pferd in Entscheidungen einbeziehst. Das weiß ich so genau, weil ich vor über zwei Jahren an einem Punkt mit meinem Pferd stand, an dem von Motivation keine Rede mehr sein konnte.

Mit der Geburt meines Sohnes vor knapp drei Jahren kam neben der tiefen Freude und Liebe zugleich eine tief sitzende, ursprüngliche, mütterliche Angst in mir hoch. Angst, dass diesem kleinen, hilflosen Wesen etwas zustoßen könnte. Die Erkenntnis, wie abhängig dieses Kind von mir war, traf mich mit einer solch unerwarteten Wucht, dass ich während der ersten Nächte kaum schlafen konnte. Selbst wenn das Baby einmal schlief. Was, dachte ich mir immer wieder, wenn mir nun plötzlich etwas passierte?

Die Folge war, dass ich versuchte, alles unter Kontrolle zu bekommen. Ganz so, als könnte mich diese Kontrolle vor irgendetwas auf der Welt beschützen. Das galt auch für mein Pferd: Ich traute meinem Pferd plötzlich nicht mehr. Beim Reiten war ich angespannt und malte mir die schlimmsten Situationen aus. Ich versuchte immer schon alle Möglichkeiten im Vorhinein zu bedenken und abzusehen was als nächstes passieren würde.

Loslassen als Lösung

Mein Pferd machte während dieser Zeit eine erstaunliche Wandlung durch: die sonst so stürmische, aufbrausende, sich immer in Bewegung befindende junge Stute strahlte auf einmal eine ganz neue Ruhe aus. Ich konnte viel entspannter spazieren gehen und als ich wieder zu reiten anfing, war nur noch wenig vom früheren aufbrausenden Temperament zu erkennen.

Ein paar Monate später wunderte ich mich über die fehlende Motivation und die Lustlosigkeit meines Pferdes. Sie wollte nicht mehr angaloppieren, schlurfte im Trab nur noch so daher. Mein lebenslustiges, bewegungsfreudiges Pferd mochte sich nicht mehr mit mir bewegen. Ich wünschte mir unsere Leichtigkeit zurück.

Es brauchte ein bisschen Zeit, um zu verstehen, dass ich dafür wieder ins Vertrauen gehen musste. Ich musste ein Stück meiner scheinbaren Kontrolle aufgeben, um letztlich wieder mehr davon zu bekommen. Das mag paradox klingen, aber in dem Moment in dem ich die Kontrolle wirklich abgab, spürte ich, dass ich wieder zu meinem Pferd durchkam.

Unsere neue Leichtigkeit

Ich hörte auf zu reiten und übte mich darin – im Kontrolle abgeben. Ich ließ mein Pferd frei in der Halle laufen, sodass sie entscheiden konnte, ob sie sich mir anschließen, dösen, oder mich aus einer Ecke beobachten wollte. Ich baute meine Energie neu auf. Machte Theaterübungen in der Halle, bewegte mich einfach, joggte außen herum. Manchmal schloss sie sich mir an, manchmal fand sie dabei zurück in ihre Bewegungsfreude.

Ich versuchte, keinerlei Anspruch an sie zu stellen, sondern einfach mit ihr zu sein. Gar nicht so leicht, wenn es Zeiten gibt, in denen nichts passiert. Aber genau die sind wichtig. Wichtig, weil aus diesem Nichts heraus wieder etwas Neues entstehen kann.

Im Gelände fing ich wieder an zu reiten. Dort holten wir uns Schritt für Schritt, Stück für Stück unserer alten Leichtigkeit zurück. War der erste Prozess mühsam, so war dieser zweite Teil unwahrscheinlich schön und beflügelnd. Dann kam der Moment, indem wir wieder in die Halle gingen. Ich dachte an Trab, sie trabte ganz leichtfüßig los. Dann galoppierten wir. Ohne Treiben, ohne Gerte, ohne Zwang. Nur, weil wir es beide wollten.

Ich habe gelernt: Je mehr ich es schaffe loszulassen und je weniger ich versuche krampfhaft die Kontrolle zu behalten umso motivierter, verbundener und vertrauensvoller wird unser Zusammensein.

Vertrauensvorschuss als Führungsqualität

Im Nachhinein erscheint mir diese Erkenntnis so glasklar. Alleine wenn man sie auf sich selbst überträgt und sich fragt: mit welchem Chef, mit welcher Chefin arbeite ich motivierter? Mit einer, die mir immer auf die Finger schaut und haargenaue Anweisungen gibt? Die nie wirklich etwas in meine Verantwortung gibt und immer alles unter Kontrolle halten möchte?

Oder mit einer Chefin, die mir eine grobe Richtung vorgibt und mir das Vertrauen entgegenbringt, dass ich meinen eigenen Weg finde die Arbeit zu erledigen? Die mir Freiräume und Eigenverantwortung überlässt? Die mich auch mal über Pausen und Arbeitsgeschwindigkeit selbst entscheiden lässt?

Der Knackpunkt: ein Riesenschritt ins Ungewisse

Auch unsere Pferde arbeiten viel motivierter, wenn sie selbst ein Stück Kontrolle übernehmen dürfen. Hier kommt aber der Knackpunkt: den Pferden ein Stück Kontrolle abzugeben ist in den meisten Reiterköpfen nicht vorgesehen. Es ist ein Riesenschritt ins Ungewisse. Es geht gegen unsere anerzogenen und fest verankerten Grundsätze, die wir im Zusammenhang mit dem Pferdeumgang gelernt haben.

Natürlich übernimmst du als Mensch zu jedem Zeitpunkt die Verantwortung. Besonders wenn deine Entscheidung zur gemeinsamen Sicherheit beiträgt – sei es an einer Straße oder in anderen gefährlichen Situationen. Vor allem dann, wenn dein Pferd Angst zeigt und nicht mehr mit Bedacht sondern aus purem Instinkt handelt liegt die Kontrolle bei dir. Aber es gibt so viele Situationen, in denen du dich sicher genug fühlen kannst, um deinem Pferd einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.

Zu schnell wird die Kontrolle sonst zum Selbstzweck. Dann kann sie uns eine Menge nehmen: Spaß, Vertrauen, Leichtigkeit, Freiheit, Liebe, Motivation. Je mehr du aber genau diese Aspekte in den Vordergrund rückst, umso kompetenter wirst du als Führungspersönlichkeit.

Das kannst du tun:

Frage dich: Wie sehr geht es bei dem was du mit deinem Pferd tust um Kontrolle? Wo kannst du noch loslassen? Deinem Pferd Freiräume einräumen um sich auszudrücken, Ideen einzubringen und Feedback zu geben? Wo kannst du dir und deinem Pferd einen Vertrauensvorschuss schenken, der euch beide ermutigt, euer bestes zu geben? Gib einfach mal ab, lass los – und schau was passiert!

Zum Beispiel:

  • Reite dein Pferd einmal mit so wenig Ausrüstung wie möglich
  • Mach Bodenarbeit ganz ohne Hilfsmittel (auch ohne Peitsche, Gerte etc.)
  • Lass dein Pferd heute über eure gemeinsame Zeit bestimmen und versuche herauszufinden, worauf es Lust hat. Höre deinem Pferd zu und stelle einfach einmal keine Ansprüche an dein Pferd.
  • Stelle dich gemeinsam mit deinem Pferd Situationen, die für beide schwierig sind solange du dich dabei noch sicher genug fühlst. Verlasst eure Komfortzone.
  • Schließe für einen Moment die Augen beim Reiten
  • Lass dein Pferd die Richtung bestimmen in die ihr reitet (egal ob auf dem Platz oder im Gelände)
  • Und jetzt die Geschwindigkeit